1962–2022

OPEL KADETT – kurz gesagt O.K.

Mit einer kompletten Neukonstruktion blies Opel 1962 zum Angriff auf den bis dahin unangefochtenen Käfer. Der wie sein Vorkriegs-Pendant benannte Kadett war der Beginn einer langen Reihe, die erst mit dem bis 1993 gebauten Kadett E und über 10 Millionen Exemplaren endete.

Entwicklung

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Bereits 1957 erhielt Chefingenieur Karl Stief, der damalige Chef-Ingenieur der Adam Opel AG (bis 1959) von der Zentrale des US-Mutterkonzerns General Motors den Auftrag, einen „perfekten Anti-VW“ zu konstruieren. Stief trieb mit seinen Assistenten Hans Mersheimer (Karosserie) und Werner K. Strobel (Fahr- und Triebwerk) die Entwicklungsarbeiten so heimlich voran, dass bis heute kaum etwas über die Entwicklungsgeschichte des Kadett A bekannt ist. Die über 1,5 Millionen Testkilometer wurden zu 85 % mit 30 handgefertigten Versuchsfahrzeugen auf Prüfständen sowie auf dem Rüsselsheimer Prüffeld und nur zum geringen Teil auf öffentlichen Straßen unter anderem am Polarkreis abgespult, wo damals noch keine Erlkönigjäger auf der Lauer lagen. Auch auf dem General Motors Proving Ground in Milford (Michigan, USA) wurden zwei Versuchsfahrzeuge getestet. Die ganze Entwicklungs- und Experimentierarbeit kostete 50 Millionen Mark. Eine für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich hohe Summe. Im Februar 1960 war der neue Kadett ausgereift und Detroit gab das Plazet für den Bau des Wagens.

Die Öffentlichkeit erfuhr erst durch den 1960 begonnenen Bau der neuen Fabrik auf dem ehemaligen Zechengelände in Bochum, dass Opel an einem neuen Kleinwagen arbeitete. Noch im Februar 1962 lagen die Zeichner der Zeitschrift Hobby mit ihrer Vermutung, dass dieser die Corvair-Linie mit der in Höhe der Gürtellinie umlaufenden Karosseriekante à la NSU Prinz aufweisen würde, völlig daneben. Selbst darüber, ob Opels neuer Kleiner über Front- oder Heckantrieb verfügen würde, wurde acht Monate vor Produktionsbeginn noch ahnungslos spekuliert. Monatelang ist der Anti-VW das Benzingesprächsthema Nr. 1. Erst Mitte August, eine Woche vor der offiziellen Pressevorstellung, gelang es der Zeitschrift Quick auf Basis von stark verwischten Fotos eine realitätsnahe Zeichnung des neuen Kadetts zu präsentieren.

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Überschlagversuche mit dem Kadett

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Kadett-Versuchsfahrzeuge am Polarkreis

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Pressepräsentation des neuen Kadetts am 20.8.1962 in Rüsselsheim

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1-Liter-OHV-Kurzhubmotor

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Zentralgelenk vor der Hinterachse

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Von so einem Kofferraum konnten Käfer-Fahrer nur träumen

Präsentation

Am 20. August 1962 ist es schließlich soweit. Opel-Pressesprecher J. Ch. Hepting präsentiert mit Hans Mersheimer und dessen Stellvertreter Werner K. Strobel sowie Verkaufsdirektor Dr. Hans Schnabel in Rüsselsheim den neuen Opel Kadett. Die wenigsten hatten zu diesem Zeitpunkt noch mit Überraschungen gerechnet und so erfüllte der „verkleinerte Rekord“ mit längs eingebautem Vierzylinder-OHV-Reihenmotor, Einzelradaufhängung vorn, Heckantrieb auf die starre Hinterachse und selbstragender Ganzstahl-Karosserie die Erwartungen. „Keine Experimente“ lautete das geflügelte Wort des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer.

Dennoch hatte man vieles völlig neu ausgedacht. Der neue Kurzhub-Motor mit 993 cm3 Hubraum und hochgelegter Nockenwelle unterschied sich grundlegend von demjenigen des Rekords. Das drehzahlfreudige und zugleich trotz nur dreier Kurbelwellenlager laufruhige „Nähmaschinchen“ verhalf dem nur 3,92 m langen und 670 kg leichten Kadett (VW 1200 Export: 760 kg) mit seinen 40 PS zu durchaus sportlichen Fahrleistungen und einem Vorsprung vor seinen Mitbewerbern: von 0 auf 100 in 26 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h (VW: 115 km/h) ließen nicht nur den Käfer alt aussehen. Und das bei einem durchschnittlichen Benzinverbrauch von nur 7 Liter pro 100 km (VW: 8,5 Liter pro 100 km). Geschaltet wurden die vier vollsynchronisierten Gänge in einer Zeit, zu der Opel sonst nur Dreigang-Lenkradschaltungen anbot, mit einem (langen, dünnen) Mittelschalthebel. Die Aufhängung der in einem Stützrohr verlaufenden Kardanwelle am Unterboden vor der Hinterachse, das sogenannte Zentralgelenk, war zugleich vorderer Aufhängungspunkt der Hinterachse, so dass die Kardanwelle keine Vertikalbewegungen beim Einfedern machte, was den Kardantunnel niedrig hielt. Das Zentralgelenk nahm auch Beschleunigungs- und Bremsmomente auf, was zur Entlastung der hinteren Zweiblattfedern beitrug. Die Trommelbremsen hatten Rekord-Dimensionen, was für damalige Verhältnisse auch ohne Bremskraftverstärker zu guten Bremswerten bei geringen Pedalkräften führte.

Die größte Stärke des Kadetts gegenüber dem Käfer war jedoch seine Karosserie. Neben guten Platz- und hervorragenden Sichtverhältnissen überzeugte vor allem sein riesiger Kofferraum, mit dem er dem Käfer weit überlegen war.

Die Peilkanten auf den vorderen und hinteren Kotflügeln trugen zur Übersichtlichkeit beim Einparken bei. Schließlich verhalf der wassergekühlte Motor dem Kadett auch zu einer – im Gegensatz zu derjenigen des luftgekühlten Käfers – tadellos funktionierenden Heizung. Mit Beifall begrüßt wurde auch sein bemerkenswert niedriger Basispreis von 5.075 DM, und das bei besserer Grundausstattung als im nur 95 DM günstigeren Käfer. Das hatte niemand für möglich gehalten, dass es einem Großserienhersteller gelingen würde, so dicht an den bereits im 18. Produktionsjahr über 5 Millionen Mal gebauten Käfer heranzukommen. Ein Industriearbeiter verdiente übrigens 1962 durchschnittlich 855 DM brutto im Monat, bei einer Wochenarbeitszeit von 45,5 Stunden.

Die bereits fünf Tage nach der Vorstellung in der Motor Rundschau und in der Auto Motor und Sport erscheinenden Berichte prognostizierten dem Käfer-Herausforderer bereits an der Wiege „beachtliche Produktionszahlen“ und verhießen: „Die Jagd beginnt“.