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Ein Grußwort* von Fritz B. Busch (1922–2010)
Handeln, denken, fühlen wie damals, als wir und die Dinge, mit denen wir umgingen, noch nicht durchgeknallt waren. Das könnte ein heilsamer Prozess sein.
Weniger ist mehr: Der Opel Kadett A besticht durch seine einfache Technik – unnötige Kompliziertheit ist ihm fremd.
Weil es hier um Automobile geht, nehme ich einmal den Opel Kadett A als Beispiel dafür, dass weniger mehr sein kann. Man sollte ihn sich zu Herzen nehmen, diesen sympathischen Bruder Leichtfuß, wenn man über Autos nachdenkt. Das gilt für Konstrukteure und Käufer gleichermaßen, die offenbar der irrigen Ansicht sind, heute müsse alles, was machbar ist, auch drin sein.
Und da wiegt es dann und kostet und irritiert nur und kapriziert sich bis zum Versagen! Es finden sich wahrhaft erschreckende Beispiele für solchermaßen überfrachtete Neuschöpfungen nebst ihren Betriebsanleitungen vom Umfang eines großstädtischen Telefonbuchs.
Fortschritt? Nein, Fortschritt ist für mich die geniale Vereinfachung!
Der so genannte Nachkriegs-Kadett kam 1962 auf den Markt, und er war trotz seiner Kürze von knapp unter vier Meter groß genug für die Normalfamilie, zumal ihn sein geräumiger und gut nutzbarer Kofferraum nicht nur alltagstauglich machte, sondern auch reisetauglich – bis hinunter nach Rimini.
Und, bitte nicht weghören: Er wog nur 690 kg! Das ist es, was mich bewegt.
Sein 40 oder auf Wunsch 48 PS starkes Motörchen erreichte sein maximales Drehmoment schon bei 2.000 U/min. Daraus resultierte eine für ein Ein-Liter-Motörchen erstaunliche Elastizität.
Es stand frei und unverbaut zwischen den Vorderrädern und schickte seine Kraft über ein leicht ohne Umwege über einen Mittelstock schaltbares vollsynchronisiertes Vierganggetriebe per Kardanwelle nach hinten. Dort wurde sie von einer neuartigen Zentralgelenkachse aufgenommen, der man beste Spurhaltung und somit schonenden Umgang mit den Reifen bei geringster Neigung zum Trampeln nachsagte.
Diese Kraft reichte aus für 120 oder 135 km/h. Die Vorderräder hingen an Doppelquerlenkern, und er lenkte und bewegte sich so leichtfüßig, dass Freude am Fahren aufkam. Die war so groß, dass ich sie später beim ersten Testen des Frontantriebs-Nachfolgers auf Anhieb vermisste.
Man lächle nicht über die genannten Daten. Wie sah es denn 1962 bei Volkswagen aus? Dort standen dem Käfer in Exportausführung für die Fortbewegung von 760 kg Leergewicht 34 PS zur Verfügung, aus denen erst 1965 beim 1300er 40 PS wurden – worüber sich niemand mokierte. Und beim „großen“ VW 1500 mussten dann 45 PS für 875 kg herhalten. Von einem gescheiten Kofferraum war aber auch dann noch nicht die Rede.
Der Käfer brachte es zu jener Zeit auf 115 km/h, und er brauchte für den Spurt von 0 auf 100 zehn Sekunden mehr als der Kadett. Und so ganz nebenbei für jene, die damals noch keine Vergleiche anstellen konnten: Der Mercedes 180 gab sich bei seinem Debüt mit 52 PS für 1200 kg zufrieden.
Dennoch sind diese Zahlen zum Kernpunkt eher nebensächlich. Ich will die sinnvolle Einfachheit rühmen, die zu einer solch raumökonomischen Bauweise wie beim Kadett führen kann, und zu einer Karosserieform, die sich durch beste Übersichtlichkeit auszeichnet. Heute müssen sich die Fond-Passagiere so vieler Blechgehäuse mit wahren Gucklöchern zufrieden geben, und was hinter seinem Wagen geschieht, das kann der Fahrer nur ahnen. Nochmals die provozierende Frage: Ist das Fortschritt?
Ich weiß natürlich, was einer solch schlicht gestalteten und vernunftorientierten Karosserieform heute im Wege steht.
Da ist zum einen der Windkanal, dieser weit überschätzte und doch oft genug hinterrücks überlistete Götze, der seine Anbeter jahrelang so fest im Griff hatte, dass uns schon das Gähnen überfiel. Dennoch mehren sich heute die Abtrünnigen. Das wird offenbar, wenn man diese teils skurrilen Gebilde betrachtet, die vom Veitstanz befallene Zeichenstifte neuerdings zu Papier und leider auch zu Blech bringen.
Und da sind wir schon bei Punkt zwei. Das sind die Designer, die sich mit einer so schlichten Form wie der des Kadett natürlich kein Denkmal setzen können. Der Schuhkarton als raumökonomisch optimalstes Gehäuse wurde schließlich schon lange vor ihrer Zeit kreiert - seine Vorzüge konnten bis heute nicht wirklich überboten werden.
Hinzu kommt die Sicherheitshysterie, von der wir alle befallen sind, nein befallen wurden, wohl ahnend, dass unsere naturgegebenen Instinkte mehr und mehr verkümmern, weshalb wir uns mit Schutzwällen aller Art umgeben müssen.
Dazu zählt die Knautschzone ebenso wie die durch Airbags gebildete Gummizelle, in die wir wohl bald auch hineingehören werden, wenn wir uns weiter manipulieren lassen. Von ABS, ESP und all diesen als Gehirnersatz tätigen Hilfsmitteln ganz zu schweigen. Wozu noch defensiv oder ganz einfach vernünftig fahren, wenn man von solchen Schutzengeln umzingelt ist?
Die Frage, was sie kosten, was sie wiegen, wie sehr sie komplizieren und sich verselbständigen und ins Uferlose vermehren, stellt man nicht – dann müsste man ja wieder zu denken beginnen.
Und während beispielsweise ein VW mit einem einzigen Rundinstrument auskam, platziert man uns heute in ein Cockpit, das mit Instrumenten derart überfrachtet ist, dass es zu ihrer Bedienung und Überwachung eines Co-Piloten bedürfte.
Je älter der Oldie ist, in dem ich über Land fahre, umso mehr wundere ich mich darüber, dass ich ohne all diesen Schnokus auskomme und lebend ankomme. Liegt es daran, dass ich nicht nur die Zündung, sondern auch das Gehirn einschalte, wenn ich starte?
Gewiss, man muss dem gestiegenen Verkehrsaufkommen Rechnung tragen und bei der Konstruktion dafür geeigneter Verkehrsmittel etwas weiter denken als zu Oldies Zeiten. Dieses „Rechnung tragen“ sollte aber auch darin bestehen, dass man aufhört, in jedes, auch das kleinste Gehäuse, immer mehr dem stürmischen Vorwärtsdrang dienende Kräfte hineinzupacken. Also: Mit Schmackes gegen den Vordermann, wohin den sonst ...
Was heute geschieht, und die IAA hat es wieder gezeigt, ist bei aller Lobhudelei durch die zunehmend kritiklos schreibende Zunft nichts weiter als die Vervollkommnung des Konsumidioten. Man schnitzt ihn sich so zurecht, dass er glaubt, er müsse dies alles haben und natürlich auch bezahlen. Zeigt ihm bloß keinen Kadett A, er könnte ja auf dumme Gedanken kommen. Mit der Basisversion des Automobils schlechthin, und mag sie noch so ausreichend und vernünftig sein, ist schließlich kein Geld zu verdienen.
Auch das zögerlich aufkommende Retro-Design dient nicht wirklich einem Zurück zur Basis. Die Heilung käme erst, wenn der Käufer und überhaupt der vollkommen durchgedrehte Mensch von heute sich dem Retro-Sein zuwenden würde: Handeln, denken, fühlen, entscheiden wie damals, als Millionen Fahrer in Millionen Autos auf Millionen Kilometern mit einem einzigen Rundinstrument auskamen.
Und als man ohne Navigationssystem von Hamburg kommend den Schlossplatz in Wolfegg fand. Irgendetwas läuft falsch, Leute, irgendetwas ...
[* Wir danken Fritz B. Busch für die Erlaubnis, seinen Text „Nicht nur Retro-Design, auch Retro-Sein ist angesagt“ – der erstmals in der Zeitschrift Motor Klassik 1/2002 erschien – an dieser Stelle als Grußwort zu veröffentlichen]
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Impressum | Letzte Änderung: 18.2.2021 |